In vier Stunden, 27 Minuten und 17 Sekunden. I ran the blue line.
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Sechzehn Wochen Trainingsvorbereitung. Dreimal die Woche Training. Bei Regen. Bei Schnee. Bei Temperaturen unter -15 Grad. In strahlendem Sonnenschein, und mitten in der Nacht. Zuerst mit verhältnismäßig “okay-en” Distanzen, bis im Trainingspeak mehr als 30km in einer Einheit zu laufen waren. Laufjetlag inklusive.
Trainingspause & die Anreise
Am Freitag vor dem Rennen ging es mit Daniel & Bianca um zwanzig nach Sieben in der Früh von München aus mit dem ICE nach Hamburg. Daniel hatte schon weit im Voraus die Tickets organisiert, denn wir drei fanden den Zug einfach bequemer und entspannter als mit dem Auto anzureisen. Ich war innerlich ziemlich angespannt, hat mich doch die rechte Achillessehne etwas im Stich gelassen, und das zweieinhalb Wochen vor dem Wettkampf. Unglaublich beschissenes Timing! Es ist ja nicht so dass ich keine Rennerfahrung hätte, aber auf der Distanz? Man malt sich wilde Dinge aus was alles passieren kann, während die Gedanken Karussell fahren.
Dass ich durch die fehlenden Tapering Einheiten keine optimale Leistung würde abrufen können, hatte ich zähneknirschend akzeptiert. Bringt ja nix. Daheim bleiben? Absagen? Ich habe so viel Zeit in die Vorbereitung investiert, ich wollte einfach nicht alles wegwerfen. Nun, Daniel hat mich motiviert und so bin ich mitgefahren. Mal kucken. Trotzdem, jetzt würde ich gerne eine rauchen fiel es mir im Zug nach München ein. Der Nerven wegen. Ähm nee, besser nicht. Wir werden sehen wie sich das alles entwickelt.
Gegen 13 Uhr sind Daniel, seine Freundin Bianca und ich in der Hansestadt aus dem Zug gefallen. Hunger! Also erst mal Pasta essen, kchkchkch. Der nähste Vapiano war umgehend unser Ziel, denn Kohlenhydrate braucht der Athlet. Gut gestärkt trennten wir uns anschließend, um in unsere Unterkünfte einzuchecken. Ich bin in einem schicken kleinen Zimmer in der Nähe des Neuen Pferdemarktes untergekommen. Zwar in St. Pauli am Rande des Schanzenviertels gelegen (oha?), trotzdem perfekt weil sich das als top Ausgangspunkt für alle Unternehmungen entpuppte.
Startnummer abholen
Ich habe mich dann auch gleich wieder auf den Weg Richtung Messehallen (Ha! Das liegt ja echt nicht weit von meiner Unterkunft weg!) gemacht, um mich mit Daniel & Bianca sowie mit Alex & Manu und Schöppi & Franzi zu treffen. Alex und Schöppi wollten den Marathon ebenfalls bestreiten. Die Marathon Expo ist eigentlich wie zu erwarten wieder eine Ansammlung von Schuhherstellern, Sponsoren und sonstigen Firmen gewesen, die in irgendeiner Weise mit Laufsport zu tun haben. Anyway, wir haben unsere Startunterlagen abgeholt und sind dann weiter mit Bianca und den Freundinnen von Alex uns Schöppi zum Essen, ins Ahoi by Steffen Henssler. Das Restaurant kann ich im übrigen empfehlen. Mag vielleicht nicht günstig sein, aber unser Kellner hatte ein Mundwerk wie ein Kesselflicker! Absolut trocken und schlagfertig, Hamburger Schnauze, geiler Typ! Danach ging es schlendernd über die Reeperbahn. Kulturprogramm 😉
Samstag, der Tag vor dem Rennen
Gähn, Guten Morgen Hamburg! Schön im Bett geräkelt und gut ausgeschlafen. Bis ich dann doch raus musste. Frühstück machen, anziehen. Ich hatte mich mit Daniel verabredet. Eine Runde anschwitzen und mal auschecken wie die Sehne reagiert und der Körper beieinander ist. Puh, hmmm… joa… schwierig. Fitness war so… okay… Ob das morgen klappt? Ich weiß ja nicht…
Also gut, zurück nach 5km. Körper pflegen, Sehne pflegen… seufz. Ich vermute die Sorgen standen mir ins Gesicht geschrieben, ich konnte es absolut nicht einschätzen. Naja, wieder auf die Messe, denn heute war ich mit Christian verabredet. Ich folge ihm auf Twitter und wenn man schon in Hamburg ist dann trifft man gerne Leute, die man sonst nie zu Gesicht bekommt. Zusammen mit Christian & seiner Familie sind wir gemeinsam über die Messe geschlendert und haben uns nett unterhalten. Absolut sympathischer Jung, fand es knorke dass wir uns getroffen haben.
Zurück zur Unterkunft, guess what? Genau. Pasta & Fruchtsaft. Carboloading. Dann die Beine hochgelegt, bisschen geschlafen. FC Sankt Pauli hat daheim im Millerntorstadion gespielt, 3:0 gegen Greuther Fürth. Stimmung muss bombastisch gewesen sein, ich konnte die Fangesänge bis rüber hören. Die berittene Polizeistaffel sieht man auch nicht jeden Tag, ich zumindest nicht. Dann wieder aufgemacht, zum Hotel gelaufen in dem die Jungs residieren um mit zum Essen zu gehen. Ab ins Portugiesenviertel. Zum Italiener. Pasta Essen. Genau, Carbos. Zeitig ab ins Bett, damit man für den großen Tag fit ist.
Sonntag, Raceday
Früh vor Sechs raus aus dem Bett, sofort frühstücken, damit die Energie bis zum Marathonstart im Körper verfügbar ist. Achillessehne nochmal tapen, CEP Kompressionssocken anziehen, Startnummer anbringen und Laufklamotten an – Kurz Kurz reicht aus, Trinkgürtel mit Gels und Elektrolyt/Carbodrink bestücken, umschnallen, Brustwarzen abkleben, Handy, Kopfhörer, Sonnenbrille, Schuhe, Mütze. Wechselklamotten und Duschzeug im Turnbeutel mit, Startbanane und letzte Trinkration nicht vergessen, raus aus dem Haus!
Auf dem Weg zu den Messehallen auf Daniel, Alex und Schöppi getroffen. Gemeinsam den Kleiderbeutel abgegeben, Angstpipi weggebracht und Richtung Startaufstellung gegangen. Die üblichen Sprüche gerissen, Aufregung ahoi. Ich konnte mir kaum vorstellen dass man hier am Beginn einer 42km langen Strecke steht. Zweiundvierzig Kilometer. Ich muss verrückt sein! Um Neun ging es dann in den Startblock. Daniel startet einige Startblöcke vor mir, Schöppi und Alex hinter mir. Dass ich das rennen allein von meinen Freunden aber nicht einsam bestreiten werde müssen war mir bereits im Vorfeld klar. Der Start an den Messehallen geht leicht bergab, so konnte man schön über 14.000 Läufer vor mir sehen. Wahnsinn. Mein Ziel: Gemeinsam mit allen anderen Läufern herausfinden wie schnell ich 42km laufen kann.
Die Spannung steigt, der Puls beschleunigt sich. Mir schlägt das Herz bis zum Hals, als um 9:32 Uhr die Startglocke ertönt. Es dauert noch weitere zehn Minuten bis sich die Startblöcke vor mir sowie meiner in Bewegung setzen Richtung Startlinie. Fenix5 Startknopf gedrückt und BOOOOM, ich laufe über die Startlinie und bin im Rennen!
Wir biegen von der Karolinenstrasse ab in Richtung Reeperbahn, das Rennen läuft gut an, mein Körper kommt so langsam auf Touren. Ich laufe über die Reeperbahn, mit einer guten 6:30er+ Pace. Reinkommen, sich reinfühlen ob alles passt. Die ersten Rennkilometer spulen sich ab. Es dauert etwas bis der erste Wendepunkt kommt und die Strecke auf die Elbchausee führt.
Läuft prima bis jetzt, die Sehne hält. Rechter Hand kommen die Verladekräne des Containerhafens ins Blickfeld. Ein beeindruckender Anblick. Ich nehme Kurs auf den Fischmarkt, folge der Strecke den Berg runter, und nehme etwas mehr Geschwindigkeit auf ohne allzu sehr zu übersteuern. Kontrolle heißt das Zauberwort. Am Fischmarkt und an den Landungsbrücken vorbei, die Zuschauer sind hier in Hamburg der Hammer. Viele lesen meinen Vornamen unterhalb der Startnummer und feuern mich namentlich an, ich klatsche mit Kindern ab und winke fremden Menschen zu! Stark! Ich lasse mich auf der Strecke feiern wie Rocky persönlich. Aber so langsam merke ich meine Knie etwas. Egal, etwas anfersen und das Ziehen verschwindet.
Es geht durch den Wallringtunnel. Was zuerst wie eine fancy Lichtshow aussieht, entpuppt sich als RTW in dem ein Läufer transportfertig gemacht wird. Später erfahre ich dass der reanimiert werden musste. Shit! Nicht gerade das was man sehen will.
Ich laufe um die Binnenalster und nehme Kurs in den Norden entlang der Außenalster. Mittlerweile habe ich die Pace erhöht und laufe jetzt mit ca 5:30 bis 5:40. An dieser Stelle muss ich erwähnen dass St. Pauli definitiv einen geilen Arsch hatte! Sorry, aber isso. Hoffe du hast erfolgreich deinen ersten Marathon gefinisht!
So langsam kommt nach diversen An- und Abstiegen die Halbmarathon Marke in Sichtweite. Halbzeit Digga! Ich merke wie es langsam zäh wird und rechne damit, dass mich Kilometer 25 der Mann mit dem Hammer begrüßt. Ich nehme übrigens an jeder Getränkestation mindestens einen Becher Wasser und einen Becher Elektrolyt zu mir. Seit Kilometer zehn gibt es alle fünf Kilometer ein Kohlenhydratgel. Immer schön hydriert und aufgeladen halten den Körper, zumindest ansatzweise.
Die Strecke fängt langsam aber sicher an sich zu ziehen. Kilometer 27, 28, 29, 30. Krass, so weit war ich im Training, gleich kommt Neuland. Ich merke dass ich an mein Limit gerate, die Pace bricht ein und wird Nebensache. “Egal, lauf es ins Ziel!” sage ich mir. Die Sehne hält. “Wenn du jetzt aussteigst waren 30km Wettlauf umsonst!!“. Zeit für den Kohlenhydrat/Elektrolyt Drink. Kilometer 32. Okay, jetzt ist mein MaxTraining erreicht. “Noch zehn verschissene Kilometer. Nur noch zehn!!!” 33. 34. Ich blicke alle einhundert Meter auf die Fenix5. Verdammt, wieder nur 150 Meter weiter, wo kommt die nächste Kilometermarke?!?? Kilometer 35 taucht auf. “Los Jungs und Mädels, sieben Kilometer noch, BEISSEN!!” schreie ich raus. Ob mich wer gehört und verstanden hat? Egal. Es zieht sich und die Zeit scheint stehen zu bleiben. 36. Verdammt ich pack das!! I was born for this!
37. Noch fünf! Noch verschissene fünf Kilometer. 38. Es geht ins Stadtzentrum runter. Die Menschenmassen feuern mich an! 39, Oh Gott. Drei Kilometer noch. Halt durch Körper. Jetzt nur nicht schlapp machen. VIERZIG KILOMETER!!! Noch zwei, noch zwei Kilometer von meinem Traum entfernt!! Ich fasse es nicht, ich schaff das, ich habs gleich, ich habs gleich! Wahnsinn, ich pack den Marathon, ich pack ihn! Ich lauf die olympische Distanz!! EINUNDVIERZIG!!! ICH BIEGE AUF DEN LETZTEN KILOMETER RICHTUNG ZIEL EIN… gleich kommt der rote Teppich, oh mein Gott!! Da ist das Ziel!!! Da ist das Ziel, ich reisse mir die Kopfhörer raus, ich finishe, ich pack ihn! Ich mach den Bolt, und laufe unter dem Piepsen der Zeitmessanlage IN DAS ZIEL EIN UND FINISHE NACH 42,195KILOMETER MEINEN MARATHON TRAUM…
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Bevor du weiterliest, sieh dir das Video an. Mucke auf laut!
EPILOG
Ich bin nach 42,2 Kilometern im Ziel angekommen und laufe langsam aus. Mit einer Mischung aus Erleichterung, Auflösung in Freudentränen, Ungläubigkeit und noch nicht realisierend was ich da gerade geschafft habe, nehme ich meine Medaille in Empfang. Etwas essend und trinkend suche ich nach Daniel, und falle diesem Goldjungen der in einer Wahnsinnszeit von vier Stunden und fünf Minuten gefinisht hat um den Hals.
Alex wird es nicht schaffen, dem hat die Wade zugemacht. Verdammt, ich habe es ihm so gewunschen! Schöppi kommt als letzter von uns ins Ziel, total kaputt. Ich hole meinen Kleiderbeutel, dusche und zieh mich um. Wir suchen nach den Mädels. Ich streife mein Finisher Shirt um und weiß, dieser Tag, dieser Moment, dieser Erfolg. Er gehört mir.
Später werden wir gemeinsam im Portugiesenviertel beim Portugiesen gemeinsam feiern und ein hammergeiles vier Gänge Menü (flammbierte Gambas, Fischgang, Rinderfilet, Dessert und jede Menge Weißwein und Schnäpse) genießen. Wir haben es uns verdient weil kosta fast garnix! Im weiteren Verlauf des Abends verabschiede ich mich von Alex und Schöppi samt ihren Freundinnen die am Montag bereits heimfahren. Daniel, Bianca und ich bleiben noch bis Mittwoch bzw. bis Dienstag.
Ich sehe mir Schulterblatt, Rote Flora, den Hafen auf einer Rundfahrt, Speicherstadt, den Dungeon, Harrys Hafenbasar, den Michel und die Reeperbahn beim Feiern an (Ich wusste gar nicht dass der deutsche Schlager so viel zu bieten hat, LOL), und treffe nach Jahren unter anderem auf Sven, geiles Ding.
Hamburg, du hast mich herzlich aufgenommen, mich geprüft und mir die Zeit meines Lebens beschert. Unter Wehmut (auch weil ich wen bestimmten nicht getroffen habe) musste ich Dienstag Nacht wieder nach Hause fahren. Trotzdem hatte ich mit dir ein Erlebnis welches mich auf ewig begleiten wird.
Lieber Leser, Never live for less than your dreams.
Glaubt an euch, an eure Träume und verfolgt sie. Wenn du es nur stark genug willst, werden sie real werden.